Interview mit dem Regisseur
John Trengove

 

Was hat Dich an dem Thema angezogen?

Ich fand es interessant, was passiert, wenn Männer zusammenkommen und sich außerhalb der gesellschaftlichen Regeln ihres Alltags organisieren. Ich wollte zeigen, welche intensiven emotionalen und körperlichen Kontakte in diesen Räumen möglich sind und wie das Unterdrücken starker Gefühle zu Konflikten und Gewalt führt. Als jemand, der als Außenseiter auf diese Kultur blickt, war es mir wichtig, mich der Geschichte aus der Perspektive von Figuren zu nähern, die selbst Außenseiter sind.

Filmstills

Wie gingst Ihr beim Schreiben von DIE WUNDE vor?

Zunächst haben wir ausgiebig recherchiert. Wir verbrachten viel Zeit in der Provinz Eastern Cape, wo das Ritual noch praktiziert wird. Wir hörten uns Augenzeugenberichte an und sprachen mit Xhosa-Männern, die das Ritual erlebt hatten. Mit schwulen Männern, heterosexuellen Männern, manche urban und wohlhabend, andere aus abgelegenen ländlichen Gegenden. Diese Geschichten lieferten uns den Stoff für unsere ersten Ideen. Doch als ich das Ritual näher erforschte, überkamen mich zwiespältige Gefühle. Man hört immer wieder, wie es Nährboden für Homophobie und übertrieben maskulines Verhalten sein kann. Gleichzeitig konnte ich aus erster Hand miterleben, welchen transformativen Effekt es auf einige Männer hatte, die sich dem Ritual unterzogen. In einer Welt, in der so viele Väter fehlen, hat ein Ritual, das einem Jungen seinen Platz in der Männerwelt zeigt, eine tiefe Bedeutung.

Wie gingst Du mit dem Dilemma um, als weißer Filmemacher Randfiguren darzustellen, deren Realität so ganz anders ist als Deine eigene?

Ich versuche so weit wie möglich, meine eigenen Vorurteile zu durchbrechen. Wie die meisten Zuschauer aus der Mittelschicht, die diesen Film sehen werden, könnte auch ich einfach Xolani nehmen und sagen: Hier ist eine schwule Figur, die unterdrückt wird und es verdient, aus der Unterdrückung dieser Gemeinschaft befreit zu werden, um sich endlich als Individuum frei ausleben zu können. Doch ich gestattete mir solche einfachen Lösungen für seine Figur nicht und versuchte stattdessen, sein Problem so darzustellen, wie es wirklich ist, nämlich groß und schwierig und ohne klare Antworten.

Wie glaubst Du wird der Film angesichts der Kontroverse um das Ritual in Südafrika aufgenommen?

Ukwaluka ist ein mit Tabus belegtes Ritual, und es so darzustellen, wie wir es tun, ist kontrovers. Wie wussten von Anfang an, dass wir unter Traditionalisten starke Reaktionen auslösen würden. Aber wir bekamen auch viel Zuspruch von einer jüngeren Xhosa-Generation, die darauf zu brennen scheint, das Schweigen rund um die Initiation zu brechen. Es ist eine große und sehr facettenreiche Praxis und es gäbe noch viel über das Ritual zu sagen und zu zeigen. Vielleicht kann unser Film einen Diskurs auslösen. Vielleicht sieht sich ein schwuler Xhosa-Junge eines Tages den Film an und sagt: »So habe ich das überhaupt nicht erlebt« und schreibt seine eigene Geschichte dazu.

Filmstills

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Deinem Co- Autor Thando Mgqolozana?

Ich kontaktierte Thando, nachdem ich seinen ersten Roman »A Man Who Is Not A Man« gelesen hatte, der sich mit dem Thema Initiation auseinandersetzt. Die Begegnung mit ihm war ein Wendepunkt für mich, weil er genau verstand, was ich machen wollte. Ich glaube nicht, dass es ihn unbedingt interessierte, schon wieder an einem Projekt über Initiation zu arbeiten, aber er sprang sofort auf die Idee an, alternative Versionen afrikanischer Männlichkeit zu zeigen. Thando schrieb seine eigene Fassung des Treatments, filterte meine Ideen durch seine eigenen Erfahrungen und eröffnete damit narrative Möglichkeiten im Rahmen des Rituals. Wir arbeiteten auch schon an dem Kurzfilm »Die Ziege« zusammen, der auf einem Kapitel aus seinem Roman basiert.

Wie lief die Arbeit am Set?

Wir hatten ein paar Regeln, die uns dabei halfen, wahrhaftig zu bleiben. Alle Rollen, auch die Sprechrollen unter den Statisten, mussten muttersprachliche Xhosa-Männer sein, die das Ritual selbst erlebt hatten. Die einzige Ausnahme dabei war Niza Jay Ncoyini, der Kwanda spielt. Das ergibt so auch Sinn, denn seine Figur widersetzt sich dem Ritual. Die größere Gemeinschaft der Xhosa-Männer und die Ältesten im Film sind alles Laiendarsteller. Wir baten sie, die verschiedenen Aspekte des Rituals so zu spielen, wie sie es durchführen würden, und auf die geprobten Szenen so zu reagieren, wie es sich für sie richtig anfühlte. Wenn sie mit dem Verhalten einer Figur nicht einverstanden waren, sollten sie es während der Takes sagen. Manchmal machten wir einfach keinen Schnitt, ließen die Szene laufen und filmten diese Männer, die uns wirklich unglaublichen Stoff lieferten, völlig ohne Drehbuch. Bongile Mantsai, der die Rolle des Vija spielt, ist ein erfahrener Theaterschauspieler. Er war besonders gut darin, diese frei fließende Interaktion in der Gruppe anzuregen. Wir drehten die Gruppenszenen in chronologischer Abfolge, so wie sie im Laufe des Rituals passieren würden.

Wie hast Du Nakhane Touré kennengelernt?

Ich lernte Nakhane vor etwa zwei Jahren kennen und war sofort begeistert. Nach unserer ersten Begegnung begann ich heimlich, die Hauptrolle für ihn zu schreiben. Obwohl er kein professioneller Schauspieler ist, hatte ich sofort das Gefühl, dass er vor der Kamera eine hypnotische Wirkung entfalten würde. Nakhane selbst ist ein furchtloser und facettenreicher Künstler, der versteht, dass man die eigene Komfortzone verlassen muss. Er tut dies instinktiv, ohne Blockaden und Widerstände, und gestattet es sich, vor der Kamera sehr verletzlich und ehrlich zu sein. Man hat selten die Gelegenheit, mit so einem Schauspieler zu arbeiten.

Welche Rolle spielte die Produktionsfirma Urucu Media?

Bis vor kurzem gab es in Südafrika kaum Filmproduzenten, die bereit waren, das Risiko unkonventioneller Projekte einzugehen. Als ich mich mit Elias Ribeiro von Urucu Media zusammentat, beschlossen wir zunächst, dass das genau die Nische sein sollte, die die Firma besetzen würde. Wir wollten einen Raum für Filme wie DIE WUNDE schaffen und originelle neue Stimmen im lokalen Kino ermutigen, die dann hoffentlich auch ein internationales Publikum erreichen würden. Die Leute hielten uns für verrückt, als wir mit der Arbeit an diesem Film begannen, doch Elias’ unglaublicher Optimismus und seine Fähigkeit, unkonventionelle Finanzierungsmöglichkeiten aufzutun, vor allem durch internationale Koproduktion, führte dazu, dass der Film schließlich gemacht wurde. Heute kommen immer mehr gewagte Filme aus Südafrika und mir gefällt der Gedanke sehr, dass Urucu an dieser Entwicklung einen Anteil hat.